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12. Juli 2022
Anne Trautwein - Gründerin & Designerin von Luxaa
Aline Seiler im Interview mit Pure Magazine

Anne Trautwein ist Designerin und Gründerin von Luxaa. Ihr Schicksal Modedesign führte sie zum eigenen Slow-Fashion-Label und an den Lehrstuhl einer Modeakademie. Im Interview spricht sie über Konsumverhalten, kompromisslose Nachhaltigkeit und ihr ganz persönlicher Umgang mit der Schnelllebigkeit der heutigen Zeit.

Celina

Erzähl mal, wie hat alles begonnen?

Anne Trautwein

Ganz klassisch, ich habe mit zwölf eine alte Singer von meiner Oma bekommen und habe mir dann das Nähen selbst beigebracht. Das war total cool, weil ich komplett das umsetzen konnte, was ich wollte, ohne auf irgendwelche Ressourcen wie Taschengeld oder sowas angewiesen zu sein. Ich habe es einfach ausprobiert und irgendwie hat es dann mehr oder weniger funktioniert.

Celina

Also war schon ziemlich früh klar, dass du Modedesignerin werden möchtest?

Anne Trautwein

Ursprünglich wollte ich eigentlich Medizin oder Modedesign studieren. Das hat damit zu tun, dass meine Eltern beide Mediziner sind und ich da schon immer eine Affinität zu hatte. Am liebsten wäre ich Chirurgin geworden, wo natürlich irgendwie die Analogie auch zum Modedesign ist, mit dem Nähen und dem Schneiden und so (lacht). So war das komplett fest in meinem Kopf und das habe ich auch nie wieder hinterfragt. Was eigentlich auch total irre ist.
Ich habe mich dann für beides beworben. An der Burg wurde ich genommen und für Medizin nicht. Und damit war gewissermaßen meine Geschichte vorbestimmt.

Celina

Wie lange warst du an der Burg in Halle?

Anne Trautwein

Sieben Jahre, glaube ich insgesamt. Während des Studiums war ich ein halbes Jahr bei adidas im Praktikum und im Anschluss dann dort angestellt. Währenddessen habe ich sozusagen mein Studium ruhen lassen. Ich hatte zu der Zeit noch die Affinität zu Streetwear. Das hatte damit zu tun, dass ich im privaten, sozialen Umfeld viel mit Skatern, Graffiti-Leuten und Hip-Hopern zu tun hatte. So konnte ich bei adidas echt coole Projekte machen, wie Swim und auch Padel. Bei den Olympics 2008 habe ich mitgemacht für Peking. Und dann habe ich die Trikots für die Damen und Herren der englischen Cricket-Nationalmannschaft in der Spielsaison 2009 entworfen. Das war eigentlich mehr ein Zufall. Es gab zwei Leute aus dem festen Team, die eine Kollektion dafür entwickelt hatten und ich als Praktikantin wurde gefragt, ob ich nicht auch eigene Entwürfe erstellen möchte. Es kam dann extra jemand aus England eingeflogen, dem wir unsere Kollektionen gepitcht haben. Das alles auf Englisch, ich war furchtbar aufgeregt. Derjenige wusste allerdings nicht, dass ich Praktikantin bin und hat dann tatsächlich meine Kollektion ausgewählt. Die anderen aus dem Team waren sichtlich frustriert darüber (lacht).
Und das hieß natürlich auch, dass aus meinem Praktikumsvertrag dann ein Anstellungsvertrag wurde. Im Anschluss an Adidas bin ich direkt nach Valencia gezogen. Ich war ein knappes dreiviertel Jahr dort und habe Schmuckdesign studiert. Was mir auch total viel Spaß gemacht hat, wobei ich da eigentlich die ganze Zeit nur am Goldschmiede-Tisch saß. Ich konnte auch kein Wort Spanisch, habe also überhaupt nichts von dem verstanden, was der Werkstattleiter mir da erzählt hat. Aber irgendwie hat es funktioniert. Nach Valencia habe ich dann im Prinzip mein Diplom gemacht, bin zurück, habe mein Studium wieder aufgenommen und den Abschluss gemacht.

Celina

War dann für dich schon klar, du möchtest dich selbstständig machen?

Anne Trautwein

Also eigentlich wollte ich ja nie meine eigene Marke gründen. Das ist ja der Witz an der Sache (lacht). Ich bin da mehr oder weniger so reingerutscht. Es hat alles begonnen, als ich mich während meines Diploms immer mehr mit diesem Tyvek-Material beschäftigt habe. Das nahm dann plötzlich eine Dynamik an, die ich so nie erwartet habe und die ich eigentlich auch so nie wollte. Ich wollte nie ein Modeunternehmen gründen, weil ich mir dachte, das ist das Letzte, was ich mir antue, in diesem Markt da irgendwie versuchen Fuß zu fassen und davon zu leben.

Celina

Was hat dich am Tyvek-Material so gereizt?

Anne Trautwein

Tyvek ist eine papierähnliche technische Membran, die eigentlich aus der Architektur kommt. Ein technisches Papier im Prinzip, was aber durch mechanische Einwirkung immer weicher wird und sich damit gewissermaßen auch für Verkleidung eignet. Außerdem ist es waschbar und antiallergen und kann desinfiziert und sterilisiert werden. Es können sich also keine Bakterien und Pilze einnisten, keine Milben und so weiter. Das fand ich super spannend und habe mich in meinem Diplom quasi nur mit diesem Material beschäftigt und ganz viel experimentiert, bestickt und zerschnitten. Und eben auch ein Garn daraus gemacht. Also wirklich mit der Schere kilometerlange Bahnen geschnitten, die dann mit den Händen verdreht und dann verstrickt. Es war echt eine Katastrophe. Aber am Ende hat sich gezeigt, dass da ein Gestrick bei rauskommt, was super leicht ist, was schwimmt und antiallergen ist und damit natürlich für Allergiker auch gut geeignet ist.

Celina

Und dann? Wie ging es weiter?

Anne Trautwein

Ich habe das bei einem Wettbewerb eingereicht und habe da dann eine Platzierung gemacht. Dann ging das so Schlag auf Schlag. Es kam noch ein Wettbewerb und noch ein Wettbewerb und natürlich Preisgelder. Der eine war so ein ziemlich hoch dotierter Innovationswettbewerb in Düsseldorf, wo ich den zweiten Platz gewonnen habe. Und damit hat das natürlich extrem viel mediales Interesse geweckt. Irgendwann wurde eine Beratungsagentur in Halle darauf aufmerksam und meinte "Bewirb dich mal für ein Landesstipendium vom Land Sachsen-Anhalt.“ Und dann habe ich mich für dieses Landesstipendium beworben, um eine Firma zu gründen und diesen Garn sozusagen in den zweiten Gesundheitsmarkt zu bringen. Die Idee war, dort Kleidung für Allergiker anzubieten.
Ich hatte in diesem Zuge angefangen, das Garn patentieren zu lassen. Die Patentierung dauert ja immer mehrere Jahre in der Regel. 2012 habe ich dann die Firma, also die Kapitalgesellschaft gegründet.

Celina

Mit dem Landesstipendium was du bekommen hattest?

Anne Trautwein

Ja genau, das war sozusagen eine Auflage, dass aus dieser Gründung und der Finanzierung dann wirklich auch eine Kapitalgesellschaft hervorgehen muss. Dann habe ich mir eine Geschäftspartnerin gesucht, weil das auch wieder eine Auflage war, dass ich als kreativer Gestalter da nicht in der Lage sein werde, eine Kapitalgesellschaft im Sinne eines Betriebswirtschaftlers zu führen und zu lenken und zu leiten. Später hat sich herausgestellt, dass meine Geschäftspartnerin dazu auch nicht wirklich in der Lage war (lacht). Deswegen haben wir uns dann 2016 auch getrennt. Wir haben versucht, unsere Tyvek-Produkte in den zweiten Gesundheitsmarkt zu kriegen. Und dann stellte sich aber relativ schnell heraus, dass das natürlich überhaupt nicht einfach ist. Wenn man wirklich aus einer Kreativbranche kommt und dann versucht in den Gesundheitsmarkt einen Fuß zu kriegen ohne irgendwelche Kontakte in eine völlig männerdominierte Branche mit Mitte 20 als Designerin, Frau, das war irgendwie klar, dass das nicht so richtig was werden kann. Irgendwann, dieses Stipendium ging 18 Monate, kamen wir natürlich an den Punkt, wo wir gemerkt haben, okay, wir brauchen jetzt irgendwie eine Weiterfinanzierung, sonst ist dann auch direkt mal Ende. Und dann haben wir gesagt, okay, dann machen wir jetzt einfach eine klassische Kollektion, basierend auf guten, nachhaltigen Materialien. Und dann wurde das sozusagen in ein Modeunternehmen überführt.

Celina

Hattet ihr Anlaufschwierigkeiten als neu gegründetes Modelabel?

Anne Trautwein

Damals gab es fast noch keine nachhaltigen Labels in Deutschland. Da waren wir wirklich mit die Vorreiter, was auch wieder sehr sehr viel mediales Interesse mit sich gebracht hat. Wir waren monatlich in irgendwelchen Magazinen mit unseren Produkten und mit Interviews gelistet. Und dann kamen natürlich auch Kooperationspartner auf uns zu, also Fashion Week und lavera, die große Naturkosmetik-Firma. Mit der haben wir dann auf der Fashion Week ganz große Modenschauen gehabt und das war schon ganz cool so, aber das war natürlich völlig getrennt zu betrachten von der Wirtschaftlichkeit.
Wir hatten erst mal ein klassisches B2B Business im Sinn und dann waren wir natürlich auf zahlreichen Messen, um Händler zu finden. Aber da ist es so, dass du das alles vorproduzieren musst. Also die gesamte Wertschöpfungskette musst du einmal komplett vorfinanzieren, bis das fertige Produkt beim Händler hängt. Und wenn du Glück hast, kriegst du dann das Geld. In unserem Fall war es ganz oft so, dass wir das Geld nicht gekriegt haben. Da waren viele, viele tausende Euro, 25.000, 30.000 locker offen, die wir nie gesehen haben, die du natürlich aber brauchst, um den Ball in der Luft zu halten.

Celina

Wie habt ihr es geschafft, weiter zu machen?

Anne Trautwein

Irgendwann war klar, dass diese Kooperation mit den Händlern eingestellt wird und wir wirklich nur noch reines B2C machen. Also was bedeutet, nur noch an den Endkunden zu verkaufen. Und der muss natürlich dann in dem Fall online, weil einen Store hatten wir zu der Zeit ja noch nicht, tatsächlich auch in Vorkasse gehen, sodass das Geld sofort bei uns ist. Und das war dann der springende Punkt, dass sich die Dinge einigermaßen refinanziert haben. 2016 war dann der Moment, an dem sich das Design ein bisschen verändert hat, also klassischer und cleaner wurde und mehr in diese zeitlose Schiene ging. Schöne Details, die aber lange Bestand haben. Damit hat dann natürlich das Design auch noch unsere Philosophie mehr gestützt.

Celina

Wie stehst du dazu aus heutiger Sicht? Sagst du, es war gut, dass sich diese ganzen Zufälle ergeben haben und du heute an dem Punkt stehst?

Anne Trautwein

Ja, auf jeden Fall. Das durchaus. Ich wüsste jetzt gar nicht, wo ich wäre, wenn es andersrum gelaufen wäre, also wenn die andere Geschichte eher erfolgreich gewesen wäre. Darüber habe ich wirklich noch nie nachgedacht. Ist eigentlich auch ein spannender Gedanke. Aber ich bin schon froh, ich habe so viele Leute kennengelernt, habe viel gelernt und auch viele Rückschläge einstecken müssen, aus denen ich wahrscheinlich wiederum gelernt habe, ob mir das bewusst ist oder nicht. Ich weiß nur nicht genau, ob ich es nochmal machen würde oder ob ich vielleicht irgendwie… Ja, es gibt zu viele andere Sachen, die auch schön sind.

Celina

Zum Beispiel Dozentin an einer Hochschule zu sein?

Anne Trautwein

Ja, genau. Auch das ist total schön.

Celina

Neben deiner Tätigkeit als Dozentin an der Akademie für Modedesign der Macromedia Hochschule, beschäftigst du in deinem Leipziger Store zwei Mode-Studentinnen. Mit den Erfahrungen, von denen du uns jetzt berichtet hast, was gibst du diesen jungen Menschen, die sich quasi auch auf dem Weg zu zukünftigen Modedesigner:innen befinden, mit?

Anne Trautwein

Eine schwere Frage. Die ist, glaube ich, nur komplex zu beantworten. Das ist sehr vielschichtig, weil wir hier in verschiedenen Funktionen agieren. Zum einen, na klar, erst mal auf sachlicher Ebene sind wir die Dozierenden und geben natürlich Fachkenntnisse weiter, was Kollektionsaufbau, Modezeichnen angeht, wie man Kollektionen zusammenstellt, was Kollektionen ausmacht, Materialkunde, all diese ganzen Sachen, die da in den einzelnen Bausteinen mit dazugehören. Aber für mich ist eigentlich viel wichtiger die Sichtweise, was ist Mode und Modedesign? Wo kommt es her? Wodurch wird es bedingt? Nämlich eigentlich ja durch gesellschaftliche Einflüsse und Strömungen. Sowas mitzugeben und einfach zu vermitteln, dass Mode nicht einfach nur eine Zeiterscheinung und ein Trend ist, sondern im Grunde auch eine Haltung ist. Es gibt die modischen Einflüsse, dann gibt es da aber auch die persönlichen Einflüsse. Und eigentlich sollte Mode ja nicht einfach nur ein Abbild eines Trends auf einem Körper sein, sondern doch eher die Persönlichkeit hervorheben und unterstreichen und untermalen und gleichzeitig aber ja doch eine gewisse Zeitlosigkeit mitbringen. Sei es jetzt im Design oder auch was die Materialwahl angeht, um einfach auch diesen Gedanken von Nachhaltigkeit zu forcieren. Und zu merken, dass wenn ich etwas mit meinen eigenen Händen erschaffe, soll das doch bitte auch eine Zeit überdauern und in der Form auch einen Sinn ergeben. Ich glaube, Ästhetik, also ein Auge für Harmonie und Gleichgewicht zu entwickeln, ist ganz eng geknüpft an Qualität von Linienführung, aber auch von Material. Das bedingt sich alles. Und dafür ein Feingefühl zu entwickeln, darin sehe ich meinen Auftrag.

Celina

Luxaa ist eine Slow Fashion Brand. Lebst du in deinem Privaten auch diese Entschleunigung in einer gewissen Weise?

Anne Trautwein

Ja, definitiv. Ich versuche es zumindest weitestgehend. Das ist natürlich ein Spagat, wenn man ein Unternehmen führt, was maßgeblich mit Kunden zu tun hat und dadurch auch mit Öffentlichkeitswirksamkeit. Aber ich habe zum Beispiel kein WhatsApp und kein Instagram oder Facebook auf meinem Handy und mache das auch alles nicht. Zum einen, weil ich keine Zeit habe und zum Zweiten, weil ich halt mit fortschreitendem Alter immer mehr darüber nachdenke, was ich mit meiner Zeit, dieser wenigen Zeit, die neben Akademie, zwei Kindern, Familie und eigenem Unternehmen noch übrig bleibt, anfange. Und dann ist es für mich einfach die pure Verschwendung, mit einem Finger über ein Display zu wischen und da die ganze Zeit drauf zu gucken, wenn ich eigentlich auch am Cossi sitzen und da meine Füße in den Sand stecken könnte. Ich finde diese Medienoffenheit besonders im Umgang mit Kindern bedenklich. Dann ertappe ich mich ab und zu schon dabei, wie ich versuche, moralisierend einzuwirken und zu sagen, überlegt, was das für Konsequenzen hat, was man einem Kind durch diese ganzen digitalen Geräte und diesem ganzen Vorspielen an Fantasie raubt. Wie viele fantasievolle Gedanken und Spiele und kreative Ideen niemals geboren werden, weil sie einfach im Keim erstickt werden. Das muss man sich halt einfach mal vor Augen führen. Das trifft ja auch auf Erwachsene zu, aber auf Kinder ganz besonders natürlich, weil die ja noch viel mehr in dieser kreativen Schaffensphase sind. Also in dieser Hinsicht, da habe ich, glaube ich, schon ein sehr krass anderes Mindset als die meisten Menschen.
Ansonsten konsumiere ich Biolebensmittel. Wobei ich da auch nichts davon halte, jetzt total dogmatisch zu sein. Wenn es mal nicht geht, dann geht es halt nicht, außer bei Fleisch, da mache ich keine Abstriche. Aber ansonsten versuche ich gesunde, gute Produkte zu kaufen.

Celina

Handtaschen, Kleidung etc. Wie konsumierst du persönlich Mode?

Anne Trautwein

Ich kaufe mir relativ wenig, kaufe nichts aus Kunstfasern. Ich kaufe mir hochwertige und wenige Produkte, wobei ich auch nicht sagen kann, dass ich nicht mal was bei H&M kaufe. Ich habe zum Beispiel noch ganz viele Sachen, die ich auch nach wie vor trage, die sind noch aus der Zeit, als meine Tochter geboren wurde, die wird jetzt zehn. Ich fahre auch eher so diese Slow Fashion Philosophie in meinem privaten Leben. Das heißt, dass ich mir Sachen kaufe, die mir richtig gut gefallen, die ich wirklich gerne mag, zu denen ich auch eine emotionale Verbindung aufbaue. Und deswegen bleiben die einfach ganz lange in meinem Kleiderschrank.

Celina

Was entgegnest du Menschen, die die Verwendung tierischer Produkte in der Modeindustrie kritisieren?

Anne Trautwein

Ich finde es schwierig, wenn man so einen ganz dogmatischen Lebensstil hat.
An der Stelle muss man das natürlich hinterfragen, wenn jemand sagt, er sei Veganer und würde niemals irgendein tierisches Produkt in seine Nähe lassen und die eigenen Handtaschen sind aus Polyvinylchlorid, also aus veganem Leder, dann denke ich mir, Polyvinylchlorid, okay, das ist erstmal Erdöl, das ist die dreckigste Industrie der Welt, das macht unsere Erde wirklich kaputt. Wenn diese Tasche irgendwann nicht mehr geht, dann kannst du sie nicht einfach in den Wald werfen und sie verrottet wie ein tierisches Produkt, sondern sie wird für immer dort sein, wird sich in ganz viele kleine Plastikteilchen zersetzen und die gesamte Umwelt nochmal schädigen. Das heißt, alleine der Herstellungsprozess, diese ganzen Chemikalien wie Polyvinylchlorid hergestellt wird, das ist unfassbar. Wenn man sich diese Kette vom Anfang, also angefangen mit Fracking, über die gesamte Wertschöpfungskette anguckt, bis da so eine kleine vegane Tasche steht, dann frage ich mich "Hast du dir das mal ganz genau angeguckt und weißt du, was du mir da gerade erzählst?“ Das ist einfach hanebüchen und entbehrt jeder nachhaltigen Grundlage. Wenn man sagt, ich will das nicht essen, ist das ja auch total in Ordnung. Aber das grundsätzlich zu verteufeln und dafür aber eine Sache, die eigentlich der Umwelt viel viel mehr schadet, zu glorifizieren, das ist es auch nicht. Wenn man jedoch sagt, man sorgt dafür, dass es eine nachhaltige Viehzucht gibt, dass die Häute der Rinder, die geschlachtet werden, weiter verwertet werden, dass das einfach ein Kreislauf gibt am Ende, ist das tausendmal nachhaltiger. Und ich meine, nachhaltige Viehzucht und hundertprozentige Verwertung sind ja möglich. Es wird bloß aufgrund dessen, dass wir in einem kapitalistischen System leben und Profit über allem steht, nicht gemacht. In Süddeutschland gibt es zum Beispiel eine kleine Firma, die züchten die Rinder, schlachten sie, verkaufen das Fleisch und verkaufen aber auch die Häute zur industriellen Weiterverarbeitung. Das können die natürlich nicht im industriellen Maßstab machen, das ist ein ganz kleines Unternehmen. Aber so muss es eigentlich aussehen. Genauso muss der Kreislauf eigentlich sein. Und dann kannst du auch deine Handtasche in den Wald stellen, wenn du sie nicht mehr brauchst. Und nach einem Jahr ist die halt weg und ist zu Erde geworden. Und so sollte eigentlich ein Kreislauf skaliert auf alle anderen Bereiche aussehen. Aber da sich natürlich mit diesen ganzen Labels wie vegan und vegetarisch so unfassbar viel Geld verdienen lässt, ist das natürlich eine riesige Maschinerie und Industrie geworden, ohne dass das groß hinterfragt wird. Das finde ich schon problematisch.

Celina

Was würdest du dir perspektivisch für die Zukunft wünschen?

Anne Trautwein

Mein ganz faktisches Ziel ist, dass ich mich irgendwann zur Ruhe setzen kann und das einfach weiterläuft, dass der Ball in der Luft ist, die Sache funktioniert, ich mein Design weitermache und natürlich die Unternehmensführung noch habe, aber ansonsten eigentlich gar nicht mal orts- und zeitgebunden bin. Es geht schon sehr, sehr stark in die Richtung. Da bin ich auch super froh, weil ich das vor ein paar Jahren nicht gedacht hätte. Das war ja ein ganz, ganz langer Prozess, sich im Unternehmensgefüge zu finden, sich zu positionieren am Markt, Dinge wiederum auszuschließen. Dieses trial and error, bis man wirklich den roten Faden gefunden hat, hat ewig gedauert. Und ich glaube, jetzt wäre es einfach der Punkt zum Skalieren. Also, dass man sagt, wir lassen nicht 100 Teile pro Stück produzieren, sondern 200 oder 300 Teile, weil wir eben zwei oder drei Geschäfte noch zusätzlich haben.

Celina

Das heißt, du denkst schon an Expandieren, an weitere Stores?

Anne Trautwein

Definitiv. Das war eigentlich für letztes Jahr schon geplant, dann mit fast oder vermeintlicher Beendigung der Corona-Auflagen, erstmal für dieses Jahr. Da kam jetzt der Angriffskrieg auf die Ukraine postwendend im Anschluss. Das sind natürlich Faktoren, die sind kontraproduktiv, wenn man auf Standortsuche ist. Das heißt, ich muss nun für mich abwägen, ob ich das Risiko eingehe oder nicht.

Celina

Wo würden sich die neuen Stores befinden?

Anne Trautwein

Der nächste Standort soll eigentlich in Dresden sein. Da habe ich lange Gespräche mit einer Maklerin geführt und das Für und Wider abgewogen. Da ist dann natürlich auch entscheidend, was gibt es da für Touristen übers Jahr? Wie ist die Kaufkraft der Touristen? Kommen auch Touristen im Winter, nicht nur im Sommer? Was ich auch ganz toll fände, wäre Warnemünde. Dort müsste man jedoch ganz krass auf Saisongeschäft setzen. Kann funktionieren. Ansonsten ist Stuttgart bestimmt auch interessant. Süddeutschland, wo man einfach auch schon aus Tradition so ein Gespür für Qualität hat und auch für Qualität, die ihren Preis hat. Aber auch für Nachhaltigkeit. Das ist da viel mehr schon in der, sage ich mal, breiten Bevölkerung verankert, als es vielleicht bei uns hier noch der Fall ist.

Celina

Was sind deine Lieblingsorte in Leipzig? Wo fühlst du dich besonders wohl und kannst Kreativität oder Kraft auftanken?

Anne Trautwein

Ja, der Cossi tatsächlich, weil ich einfach unfassbar gern am Wasser bin. Und am liebsten natürlich am Meer. Oberstes Ziel, irgendwann am Meer leben (lacht). Ansonsten bin ich super gern im Clara-Park im Glashaus zum Frühstücken, zum Beispiel. Das mache ich sehr gerne. Es sind gar nicht so besondere Spots oder irgendwelche gehypten Spots, das ist mir eigentlich alles viel zu viel. Mein Garten (lacht). Ja, mein Garten habe ich jetzt nach fünf Jahren Gestaltungsprozess endlich fertig. Jetzt sieht er wirklich aus wie so ein französischer Landgarten. Mit Lavendel und einem alten Apfelbaum und auch Bambus und ganz vielen verwinkelten Nischen, wo überall kleine Sitzgelegenheiten sind, mal in der Sonne, mal im Schatten. Und das gehört jetzt auch auf jeden Fall mit zu meinen Lieblingsspots zum Abschalten. Was anderes brauche ich eigentlich nicht. Und da merkt man einfach auch, dass man, glaube ich, als Mensch gar nicht viel mehr braucht, dass alles andere eigentlich nur Makulatur ist, was man so oben drauf baut und denkt, was man braucht, aber eigentlich braucht es das nicht.

Celina

Schöne abschließende Worte

Anne Trautwein

Danke.

Celina

Vielen lieben Dank.

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