Schön, dass ihr da seid. Wie seid ihr zu eurer Leidenschaft, dem Fotografieren gekommen?
Ganz am Anfang hat es mit Kunstleistungskurs angefangen. Wir waren in Paris, sollten eine Fotostrecke fotografieren und ich habe die Spiegelreflexkamera von meinem Papa bekommen. Ich wollte unbedingt Kommunikationsdesign studieren und ganz groß in die Werbung einsteigen. Für einen besseren Zugang zum Studium hatte ich mich entschieden davor eine Ausbildung zur Fotografin zu machen. Diese Ausbildung absolvierte ich in einem Portraitstudio in Wiesbaden mit Besuch der Landesberufsschule Photo + Medien in Kiel. Danach begann ich Kommunikationsdesign an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden zu studieren. In meinem studienbegleiteten Praktikum bei einer großen Werbeagentur in Hamburg habe ich dann gemerkt, dass mir das nicht gefällt. Ich war da mit Dingen konfrontiert, die meinen Berufswunsch geändert haben.
Was waren das für Dinge, die dich umgestimmt haben?
Es war ein enormer Druck, fande ich. Es war irgendwie klar, dass du deine zwölf Stunden arbeitest. Es war auch klar, dass man länger arbeitet, dass man am Wochenende arbeitet, dass man für wenig Geld arbeitet. Am Ende konnte ich mit dem, was ich da verdient habe, gerade mal mein Zimmer bezahlen. Die Arbeitsbedingungen waren einfach katastrophal. Aber das ist eben die Branche und ich finde, da muss man der Typ für sein. Das wäre nicht mein Ding gewesen.
Also hast du dich dann mehr der Fotografie zugewandt?
Ich habe immer sehr viel positives Feedback auf meine Fotografien bekommen. Auch wenn ich mich in Agenturen vorgestellt habe, z.B. bei Jung von Matt. Die hatten mich aufgrund der Diplomausstellung im Studium persönlich angeschrieben, ob ich mich nicht bei ihnen bewerben will. Alles von Außen hat mir eigentlich immer wieder gezeigt, geh mehr in Richtung Fotografie. Bei mir kam auch hinzu, dass ich früh Mama geworden bin, meine Diplomprüfung habe ich mit Baby gemacht und da muss man sich entscheiden, wie es weitergeht. Für mich war das dann besser miteinander vereinbar. Ich habe mich direkt nach dem Studium als Fotografin selbstständig gemacht. Später habe ich zwei Jahre lang ein Seminar bei Thomas Meyer an der Ostkreuz-Schule in Berlin besucht. Die sind auf sozialkritische Dokumentationen spezialisiert. Dort hatte ich einen Ort gefunden, wo ich super mit meinen Arbeiten hingepasst habe.
Kiel, Hamburg, Berlin. Wie ging es dann weiter?
Ja, tatsächlich sind viele aus meinem Studium nach Berlin gegangen und ich dachte aber, das ist mir zu viel Konkurrenz, das kennt man halt auch schon und ich wollte etwas Neues haben. So bin ich nach Leipzig gezogen und mir hat es gleich super gut gefallen. Hier fande ich schön, dass man doch auch viel Subkultur hat, das interessiert mich sehr.
Wie lange bist du schon in Leipzig?
Seit zwölf Jahren.
Was hat dich zur Fotografie gebracht, Claudia?
Eigentlich wollte ich gar nicht Fotografin werden. Das war nie mein Plan. Ich bin eher zufällig zur Fotografie gekommen und habe eine ganz klassische Ausbildung zur Fotografin im Münsterland gemacht. Der Moment, in dem es bei mir im wahrsten Sinne des Wortes Klick gemacht hat war als ich das erste Mal im Studio Licht angemacht habe, hinter der Kamera stand, Leute im Licht standen und ich vor dieser für mich riesigen Hasselblad stand, scharf gestellt und dann dieses Foto gemacht habe. Da habe ich aufgehört zu atmen. Das war der Moment, in dem ich gemerkt habe, das ist genau das, was du immer wolltest, du hast es halt nur nicht gewusst. Und seitdem hat es mich nicht mehr losgelassen. Das ist jetzt über 20 Jahre schon so. Ich wollte diesen Job immer weiter perfektionieren. Mir war das nach der Ausbildung nicht genug, Hochzeiten und Passbilder zu machen. Ich wollte mehr wissen. Ich hatte dann das große Glück, nach der Ausbildung eine schöne Anstellung zu haben, die mir sehr viele Freiheiten geboten hat und bei der ich auch wirklich einiges an Geld zurücklegen konnte. Mir war klar, ich werde sparen und ins Ausland gehen. Ich habe dann Work and Travel gemacht, Neuseeland, Australien, Asien, habe einfach die Welt bereist, andere Kulturen kennengelernt, Sprachen gelernt und zehre bis heute davon. Das war die Reise meines Lebens wahrscheinlich. Ich habe inzwischen oft den Globus rauf und runter gedreht, aber das ist etwas, was man nie vergisst, wenn man ganz alleine mit seinem Rucksack losfährt.
Ich würde heute jedem jungen Menschen empfehlen, das zu machen. Auch jedem Alten, der irgendwie denkt, er müsse was in seinem Leben schrauben. Das ist das Beste, was man machen kann. Ich bin dann wieder gekommen und habe an der FH in Dortmund Kommunikationsdesign studiert. Nach dem Studium bin ich nach Frankfurt gegangen, habe in Frankfurt gearbeitet, habe mein komplettes Business in Frankfurt aufgebaut und habe dann nach so sechs, sieben Jahren Frankfurt einen super Job hier in Leipzig gehabt. Als Freelancer in der Modefotografie. Inzwischen sind es acht Jahre, die ich in Leipzig bin. Zwischendurch war ich auch viel im Ausland. Ich habe in Miami gearbeitet und in Südafrika. Aber jetzt ist es mehr regional. Ich bin nicht mehr so sehr im Modebereich unterwegs, sondern mache mehr Business-Porträts und Corporate.
Gab es Projekte, die euch besonders in Erinnerung geblieben sind?
Was mich in letzter Zeit am meisten berührt hat, war ein Fotoshooting mit einem krebskranken Mädchen im Endstadium. Sie hatte sich gewünscht, in schönen Kleidern fotografiert zu werden. Und wir haben ihr mit diesem Shooting quasi einen letzten Wunsch erfüllt. Das war so das Emotionalste, was ich gemacht habe. So wie ich arbeite, geht es auch viel um diese besonderen Momente und für mich ist es tatsächlich immer schön, irgendwo an einen neuen Ort zu kommen. Ich mache super selten etwas im Studio, sondern immer on Location. Ich hatte zum Beispiel den Künstler Michael Triegel porträtiert. Das war für mich ein sehr besonderes Shooting, einfach weil ich seine Arbeiten schon kannte und mich ein bisschen mit dieser religiösen Thematik auseinandersetze. Als ich in seinem Atelier stand, war da ein riesiges Bild, ein Triptychon, was er gerade angefangen hatte. Das hat mich begeistert. Das sind alles Sachen, die kann nicht jeder erleben. Das erlebe ich über die Fotografie. Und das macht es auch so besonders, dass mir jemand diese Zeit schenkt, die Aufmerksamkeit, seine Präsenz und eben den Zugang zu solchen Themen.
Wie ist es bei dir, Claudia?
Mein Highlight-Moment? Ja, ich sehe das so ähnlich wie Jasmin. Es sind diese besonderen Augenblicke mit den Menschen, die man trifft. Und ich fühle mich da immer wieder privilegiert, egal wo ich mich gerade befinde. Absolute Highlights sind für mich sicherlich die Momente gewesen, als ich sehr wichtige Leute vor der Kamera hatte. Weil man nicht weiß, wie wird das denn wirklich sein, wenn diese Menschen dann da sind? Eines meiner persönlichen Highlights ist sicherlich, dass ich den König und die Königin der Niederlande fotografieren durfte. Drei Tage lang durfte ich sie begleiten und das war schon sehr eng, wenn man quasi die Königin fotografiert und rückwärts dem König in die Arme fällt (alle lachen).
Mit Absicht?
Ich war einfach so auf sie fokussiert, dass ich gar nicht bemerkt habe, dass er hinter mir stand (lacht). Ich hatte dann so einen Moment, wo sie sich an einer Location bestimmte Sachen angeguckt haben und ich einfach mal gedacht habe, jetzt bist du schon zwei Tage mit denen unterwegs, jetzt guckst du einfach mal nicht nur durch die Kamera. Und dann kam der niederländische Botschafter zu mir und meinte „ja ist schon cool, wenn man dann so dabei ist, oder?“ Dann hab ich gedacht, er hat gerade meine Gedanken lesen können, wie ich da völlig weggedriftet bin und einfach dachte, ja, andere stehen hier stundenlang auf der Straße und wedeln eine orangene Fahne und ich bin dabei. Also das sind so Sachen, die sind schon toll.
Was ist für dich das Besondere an der Fotografie, was reizt dich daran?
Da ich ja viel mit Menschen zu tun habe, ist es für mich immer dieser Kick, kriegen wir diese Verbindung zueinander oder kriegen wir sie nicht? Ich hatte einen besonderen Moment, da entstand so ein Zauber. Ich hatte damals viele schwangere Frauen in einer Hebammen-Praxis fotografiert. Und einmal war da diese schwangere Frau mit ihrer Mutter. Es war so eine Dynamik im Raum, die kann ich gar nicht beschreiben. Man merkte einfach, da war irgendwas im Gange. Und dann sagte die Hebamme zu den beiden "Du wirst jetzt bald Mutter und du wirst Großmutter.“ Und plötzlich wurden die werdende Oma und die werdende Mutter in ihrer Haltung wie ein Kokon. Die hielten sich fest und fingen an zu weinen. Und plötzlich haben wir alle geweint. Oh, ich kriege Gänsehaut (lacht). Und das war so ein Moment, wo ich dachte, wow was ist jetzt passiert?
Das schaffen sehr wenige Berufe, solche Gefühle im Berufsalltag auszulösen.
Ja, und dass du es dir auch erlauben kannst. Ich denke auch, dass es das ist, was es ausmacht. Diesen künstlerischen Aspekt in der Fotografie zu haben, ist dieser Anteil, den du haben musst. Weil die Technik, die kann jeder lernen.
Habt ihr euch über den Female Photoclub kennengelernt?
Ja. Der Verein ist vor zwei Jahren von einer 7-köpfigen-Frauengruppe (unter anderem auch mir )aus ganz Deutschland gegründet worden. In der Zeit habe ich Jasmin kennengelernt und aus Kolleginnen ist eine gute Freundschaft geworden. Wir haben die Ortsgruppe Ost des Female Photoclubs gegründet und seither leiten wir sie gemeinsam.
Erzählt uns gern, was der Female Photoclub ist.
Im Female Photoclub sind nur Berufsfotografinnen oder Anfängerinnen, die in der Fotografie professionell tätig sind. Wir haben festgestellt, dass die Sichtbarkeit der Frauen in der Fotografie total unterrepräsentiert ist. Wenn man gerade in der Werbefotografie schaut und dann können wir ganz konkret auch hier in Leipzig bleiben, werden die meisten Werbeaufträge an Männer vergeben. Prozentual ist unter zehn Werbefotografen eine Fotografin dabei. Das ist eine ziemlich schlechte Quote. Es ist oft der männliche Blick, den man z.B. bei Magazinen findet. Aus diesem Grund werden viel eher Männer gebucht.
Generell ist es schon so, dass eine Frau anders fotografiert als ein Mann, ohne jegliche Wertung. So wie ein Mann eine Frau sieht, auch fotografisch würde eine Frau eine Frau nicht sehen. Dadurch wird viel gelenkt. Unser Blick ist durch das, was wir auf den Covern oder in Magazinen oder der Werbung sehen, einfach schon unterbewusst gelenkt. Wir wissen es ja gar nicht, ob das jetzt ein Mann oder eine Frau fotografiert hat. Interessiert ja auch denjenigen, der es anguckt, gar nicht. Aber letztendlich kann man als Fotograf alles in irgendeine Richtung lenken.
Und das wiederum beeinflusst ja auch das Frauenbild, was wir haben.
Wo siehst du die Notwendigkeit oder auch die Ziele des Female Photoclubs?
Ich finde, das hat ganz unterschiedliche Aspekte. Also tatsächlich war es bei mir so, dass ich mich schon lange in einer Gruppe engagieren wollte und mir auch ganz viele verschiedene Sachen angeschaut und ausprobiert habe. Für mich standen aber eben auch aufgrund meiner privaten Situation, dass ich eben alleinerziehende Mama von zwei Kindern und dazu selbstständig bin, ganz andere Themen im Vordergrund. Das heißt, es gab für mich schon gewisse Ausschlusskriterien, wie z.B. der Frauen- und Männeranteil unter den Mitgliedern der jeweiligen Vereine. Weil es geht nachher eben auch darum, wer wird präsentiert? Das sind alles Auswahlverfahren. Wenn ich jetzt an einer Ausstellung teilnehmen möchte, dann sucht das jemand aus. Wer sucht das aus? Das alles beeinflusst natürlich nachher auch die Auswahl. Also ich meine, da braucht man sich keine Illusionen machen. Und das Gleiche passiert eben auch in einem Magazin, nicht nur in der Darstellung von Frauen, sondern auch in den Thematiken, die den Weg in die Öffentlichkeit finden.
Für mich war und ist Gleichberechtigung besonders wichtig. Und das habe ich mir eigentlich immer hochgehalten, auch in den Zeiten, wo es schwer war, mit der Fotografie nach vorne zu kommen. Ich musste es einfach auch für uns Frauen schaffen. Ich habe immer weiter gesucht, gesucht, gesucht und der Female Photoclub kam dann am Ende irgendwie zu mir, was mir dann auch das Gefühl gegeben hat, das ist jetzt das Richtige und macht Sinn.
Männer und männliche Kollegen fragen mich dann auch oft "wieso braucht ihr denn jetzt so einen Frauenverein? Das ist doch Diskriminierung gegenüber uns.“ Na ja, du bekommst halt auch keine Kinder, du hast da wahrscheinlich andere Themen, sage ich dann. Das Wichtige beim Female Photoclub ist auch dieser Verband von Frauen ohne jegliches Konkurrenzdenken. Wir gehen in einen Austausch über unseren Beruf und wie man Beruf und Familie miteinander verbindet. Wir organisieren Ausstellungen, Ausflüge und Vorträge z.B. über Datenschutz, Versicherungen oder Social Media.
In Leipzig werden viele Werbejobs nicht an Fotografinnen vergeben, weil sie einfach nicht so „laut“ sind wie ihre männlichen Kollegen. Oder man es ihnen nicht zutraut!?
Auch arbeiten viele schon seit Jahren immer mit einem und demselben zusammen, was ja generell nicht schlecht ist, wenn die Qualität gut wäre, aber generell finde ich, sollte man ab und zu über seinen Tellerrand hinausschauen. Seit es den Female Photoclub in der Region gibt, werde ich als Leaderin oft angesprochen, denn viele orientieren sich um, möchten Frauen als Fotografinnen haben, weil sie aktiv Mitgestaltung wollen, die Bilderwelt zu ändern - nämlich mit einer weiblichen Sichtweise. Ich freue mich dann immer und sehe, dass unsere Arbeit sich lohnt. Aber es ist noch ein weiter Weg.
Es geht ja auch darum, erst einmal das Bewusstsein für gewisse Dinge zu schaffen, um Mitmenschen die Möglichkeit zu geben, darauf zu achten. Für gewöhnlich hinterfragen Menschen es nicht, an wen sie zuerst denken und warum, wenn sie einen Fotografen buchen möchten. Das hinterfragt man nicht permanent. Und deswegen braucht es das Bewusstsein und dass wir darauf aufmerksam machen. Dabei geht es auch um solche Themen wie z.B. den hohen Männeranteil in Jurys von diversen Stipendien. Da möchten wir gern aufmerksam machen, dass es doch wünschenswert ist, wenn da auch Fotografinnen mit drinsitzen. Und wir haben da das Netzwerk mit professionellen Fotografinnen an der Hand. Und somit zählt dieses Argument schon mal nicht mehr, zu sagen, eine Frau ist halt technisch nicht so versiert oder die sind nicht so gut oder die gibt es nicht oder so.
Aus meiner Zeit damals im Studium kenne ich solche Situationen. Ich hatte einen Dozenten, der war auch Fotograf und hatte einen Assistenten gesucht. Damals hätte ich super gerne bei ihm assistiert. Doch er hat mir knallhart gesagt "Nein, du bist eine Frau. Das kann ich nicht machen. Du kannst nicht die Taschen tragen, während ich mit meinem Kunden Kaffeetrinken gehe.“ Na klar, ist es körperlich anspruchsvoll, aber wir sind es gewöhnt, hart zu arbeiten und hart zu schleppen. Das wird immer unterschätzt, wie viel Power wir da haben. Es ist einfach ein harter körperlicher Job. Das darf man nicht vergessen.
Wie viele Member sind im Female Photoclub?
Momentan sind wir in ganz Deutschland über 350 Mitgliederinnen. Jede Fotografin ist ganz individuell und hat ihren Stil.
Wie sehen eure nächsten Projekte aus? Habt ihr gerade eine Ausstellung in Planung?
Ja, tatsächlich planen wir gerade unsere nächste Ausstellung. Sie trägt den Titel "Wilder Osten". Es werden ganz unterschiedliche Arbeiten dabei sein. Jede Fotografin hat den Wilden Osten so interpretiert, wie sie das wollte.
Wie viele Fotografinnen werden ausstellen?
Dieses Mal werden es acht Fotografinnen sein. Darunter sind sowohl Food Fotos und Mode, als auch künstlerische Fotografien und Reportagearbeiten. Wir informieren euch, sobald es ein festes Datum für unsere Ausstellung gibt.
Das ist natürlich auch etwas, bei dem wir enorm von der Gruppe profitieren, weil in dieser Größenordnung kann das keine von uns alleine stemmen. Und ich finde es auch schön zu sehen, wie sich das ergänzt. Wir haben verschiedenen Teams, die sich in Dokumentationen, Videos, Social Media und so weiter aufteilen. So können wir einfach viel, viel mehr gemeinsam schaffen.
Großartig. Jasmin, du bist 12 Jahre schon in Leipzig. Claudia, du bist auch mittlerweile seit acht Jahren hier. Wo, sagt ihr, haben wir in der Stadt gerade was die Kreativwirtschaft, die Sichtbarkeit, Freiräume usw. angeht, Nachholbedarf?
Es gibt unfassbar viele Netzwerke, auch Frauennetzwerke. Manchmal fehlt mir dieses Community-Denken. Ich finde, dass es unter den Kreativen noch sehr viel um „jeder brutzelt hier so sein eigenes Ding“ geht. Wie kommt man denn da zusammen? Was ich mir wünschen würde, ist so etwas wie bei eurer Release-Party 2019. Da kommen alle zusammen, man trinkt ein nettes Getränk, man plaudert miteinander und sieht, ach ja, das ist ja der Fotograf, der das gemacht hat und das ist die Fotografin usw. Ich habe an dem Abend ganz, ganz interessante Leute kennengelernt. Und manchmal habe ich das Gefühl, ich bin schon acht Jahre in der Stadt, aber was die anderen Kreativen in meiner und auch anderen Branchen machen, weiß ich gar nicht richtig. Weil wir uns nicht gemeinsam Unterstützen. Oft sehe und höre ich von Veranstaltungen, wo ich denke, wäre ich gerne hingegangen, wenn ich es gewusst hätte…
Also speziell für uns wünsche ich mir ganz konkret männlichen Support aus unserer Branche. Wir haben im Female Photoclub den Support-Bereich, wo man sich eben auch als männlicher Kollege oder als jemand, der in seinem Beruf mit Fotografen zu tun hat, wie zum Beispiel Bildredakteure, anmelden kann. Das kostet auch nur 30 € im Jahr. Als Beispiel haben wir den Bildredakteur der DB Mobil dabei, der sich sehr dafür engagiert und gezielt darauf achtet, dass die großen Strecken im Heft und die Cover 50:50 vergeben werden. Und das gibt er auch an seine Kollegen weiter. Ich finde, das sollte eigentlich die Message sein, das Supporten und unterstützen dieses Ansatzes.
Ansonsten hat mich in Bezug auf die Stadt ein Thema jetzt in Corona-Zeiten sehr angegangen. Ich finde, man hat ganz deutlich gesehen, was die Stadt als solche unterstützt und fördert und was die Dinge sind, die nicht so wichtig sind.
Das heißt, große Firmen sind ganz selbstverständlich mit dem Kurzarbeitergeld unterstützt worden, während die Selbstständigen lange, lange warten mussten. Zusätzlich gab es viele, die durchs Raster gefallen sind, eben die, die 2019 gegründet haben. Das finde ich einfach erschreckend, weil das ist ja eine Branche, in der vielleicht diese 30%, die da fehlen, einfach schon zu viel sind, weil alles nur knapp funktioniert. Und ich finde, da hat man schon so ein Gefühl bekommen, wie die Prioritäten verteilt sind.
Ich finde auch, die Kreativbranche wird nicht so richtig ernst genommen. Die Konkurrenz, mit der wir hier in Leipzig zu tun haben, die ist nicht zu unterschätzen. Die ist mördermäßig groß. Gerade was die Fotografie angeht. Manchmal habe ich das Gefühl, die Wertschätzung für meinen Beruf ist nicht gegeben und „knipsen“ ist ja so eine einfache Sache - „die heutigen Handys machen das ja so toll." Das es nicht nur Technik und Programme benötigt, die mehrere tausend Euros kosten, sondern auch eine jahrelange Erfahrung und vor allem Menschenkenntnis, die schon an Psychologie anknüpft, das sehen viele nicht. Und oft höre ich dann nach meinen Shootings von meinen Kunden, "so professionell wären sie noch nie fotografiert worden und was es alles für eine Arbeit ist, wieviel Taschen und Equipment, die Vor und Nachbereitung…" Ich bin dann verwundert und frage mich, wer den Job vor mir gemacht hat und sage dann immer, dass das Standard eines jeden Fotografen sein sollte, was ich leiste. Und mich das erschreckt, was sich zum Teil „Fotograf" nennt. Ich habe in meinen 20 Jahren als Profi viele kommen und gehen gesehen. Menschen, die glauben, sich mit Fotografie als Hobby etwas Geld dazu zuverdienen, die in einem WG Zimmer wohnen, nie Steuern zahlen, keine Krankenversicherung… Das macht mich manchmal so wütend, aber im Laufe der Jahre habe ich auch gelernt, dass es immer Leute mit umgeschnallter Kamera gibt, die am Ende doch keine Konkurrenz für mich sind. Der Job eines Fotografen ist eben nicht nur "mal eben" auf den Auslöser zu drücken, sondern noch viel, viel mehr…
Aber das ist eben tatsächlich dann auch in der Außenwahrnehmung auf Deutschland gesehen. Es geht einmal um Wertschätzung und eben auch darum, dass wir uns gut aufstellen und gut präsentieren. Es kann ja nicht sein, dass ich aus einer anderen Stadt den Job nach Leipzig gebe, weil ich weiß, ach, da kriege ich das jetzt günstiger.
Wir alle sind Hergezogene, seit langem hier und bleiben ja scheinbar auch hier, weil es uns so gefällt. Was sind für euch persönliche Lieblingsorte?
Also, ich liebe diese Stadt. Ich habe mir diese Stadt bewusst ausgesucht. Ich mag diesen Lifestyle, den die Stadt hat und ich mag die Geschwindigkeit. Leipzig ist relativ langsam. Wenn man das vergleicht mit Frankfurt am Main, hat Leipzig ein ganz anderes Tempo, einen ganz anderen Herzschlag. Ich liebe das Wasser, dass wir hier diese Möglichkeit haben, uns heute auszusuchen, fahre ich an die Schladitzer Bucht oder an den Cossi, oder werfe ich mir einfach das Kanu ins Wasser und fahre eine Runde über den Kanal? Für mich ist es dieses Paradies, in der Stadt zu leben und direkt einen Park zu haben, mir mein Kanu ins Wasser zu werfen und sofort den Erholungseffekt zu haben. Und ich gucke raus, sehe das Graffiti und freue mich. Das ist für mich meine Stadt und deshalb ist es meine Stadt.
Ich fühle mich auch sehr verbunden mit der Stadt und finde auch, dass es so wirklich einmalig ist. Man hat das Gefühl, man ist in einer Großstadt, aber hat trotzdem so viel Platz und Grün. Das andere Schöne ist für mich Kunst und Subkultur. Ich hoffe, dass es da auch noch lange diese Räume und Plätze geben wird. Du läufst am Richard-Wagner-Hain vorbei und dann ist da eine Party oder du gehst in den Clara Park und im Pavillon ist eine Party. Also ich laufe da einfach lang und dann bleibe ich da (lacht).
Vielen lieben Dank für das Interview. Wir sehen uns spätestens bei eurer Ausstellung.
Danke für die Einladung und die Möglichkeit uns als FPC vorzustellen, das ist so wichtig!
Mehr als ein Wort - wir sprechen über persönliche Wege, Erfahrungen und Visionen. Unsere Interviews porträtieren kreative Leipziger Köpfe und interessante Menschen unserer Stadt. Gemeinsam setzen wir uns für mehr Sichtbarkeit der Mode- und Kreativszene Leipzigs ein.
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