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5. August 2022
Olaf Martens - Fotokünstler einer (neuen) Generation

Diverse Quellen nennen ihn den "Helmut Newton des Ostens“. Olaf Martens erzählt uns über seine Karriere vom Repro-Dealer der DDR Jugendszene zum international bekannten Modefotograf in Russlands Palästen.

Jan

Erzähl uns doch mal, wie du zu deiner Leidenschaft Fotografie gefunden hast.

Olaf Martens

Ja, das war in Nordhausen damals als Teenager ungefähr mit 13, 14 Jahren. Man brauchte Geld und so habe ich angefangen, die ganzen Covers, Bravo Poster oder Schallplatten aus dem Westen abzufotografieren und sozusagen zu reproduzieren. Am Wochenende haben wir die Bilder immer im Bad vergrößert und in der Badewanne gewässert. Dann wurden sie hochgetragen und mit Wäscheklammern an die Wäscheleinen auf dem Dachboden gehangen. Sonntag oder Montag kamen dann die anderen Leute von den Schulen, diese DDR Ost Jugendszene, alle waren cool. Man ging durch die Reihen und hat verhandelt, bis es verkauft war. Ich habe damals nicht nur kleine Bildchen, sondern große 50 x 60 Bilder als Dealer verkauft. Unter den Favoriten waren Udo Lindenberg, Gary Glitter und Deep Purple. Die liefen gut. Aber dann wurde es langweilig, nur die Sachen von anderen zu verkaufen. Und, so Repros, das machte ja keinen Spaß. Dann bin ich in den Fotozirkel im Jugendklubhaus. Dort hatte ich einen sehr guten Fotoklubleiter. So habe ich angefangen, selbst zu fotografieren.

Jan

Kannst du dich noch dran erinnern, was deine erste Kamera oder deine erste Technik war, worauf du fotografiert hast?

Olaf Martens

Das war eine russische Zenit E, eine Spiegelreflexkamera aus Sankt Petersburg, wo ich dann später auch gearbeitet habe als Fotograf. Und ich hatte auch noch eine Praktica MTL 3. Dazu noch Objektive. Ich war eigentlich Kleinbildfotograf. Später dann in der Hochschule habe ich alles auf Mittelformat gemacht.

Jan

Wann hast du für dich entschieden, dass du an die HGB gehen und studieren wirst?

Olaf Martens

Ich traf in einer alten Kneipe in Nordhausen meinen ehemaligen Zeichenlehrer. Ein sehr guter Mann. Ich war in der Schule eigentlich ganz gut und konnte auch gut zeichnen und so. Er meinte dann zu mir, du warst damals der Beste bei uns, ich geb dir einen Tipp, mach Kunst. Ja, und ich wollte das dann auch machen. Doch erstmal habe ich Bauzeichner gelernt, um einen Beruf zu haben. Das war ganz gut, denn die Leute wurden gerne genommen, wenn sie schon gearbeitet haben. Bei mir waren es dann zwei Jahre Lehre, dann drei Jahre gearbeitet.

Ich habe mich aber während der Bauzeichnerlehre und während der Berufsausbildung an der HGB beworben. Damals war ich 17 und habe in Leipzig die Eignungsprüfung gemacht. Die war sehr, sehr streng und schwer zu bestehen. Ungefähr von 150 bis 200 Bewerbern wurden 11 zur Prüfung ausgewählt. Das war wirklich die Prüfung, die ausschlaggebend war. Dort mussten wir eine Woche lang zu ganz verschiedenen Themen fotografieren und auch gleich dort vor Ort alles entwickeln. Das lief dann gut. Ich war eigentlich einer derer, die gleich bestanden haben, trotzdem musste ich ganz lange auf den Studienplatz warten. Bestandene Prüfung bedeutete nicht, dass man einen Studienplatz bekommt. Ich musste also noch drei Jahre warten, weil ich auch noch zu jung war. Die Schule hat eigentlich immer eher Leute des reiferen Semesters immatrikuliert. Ich war dann Anfang 20 und trotzdem einer der Jüngsten.

Jan

Wie lange warst du an der HGB?

Olaf Martens

Fünf Jahre. Ich habe von 85 bis 90 studiert und war dann noch zwei Jahre Meisterschüler. Das war wichtig, denn das war sozusagen ein anderer akademischer Grad. Es gab viele Professoren, die hatten noch ihre Meisterschüler, das war Tradition. Nicht jeder wurde das, vielleicht einer oder zwei vom Studienjahr. Mein Diplom habe ich mit sehr gut und Auszeichnung abgeschlossen. Das waren meine nackten DDR-Bilder. Damals war genau 90 die Wende und da hatte man natürlich ein Thema, was für den Osten unüblich war. Nicht diese traditionelle DDR Aktfotografie, langweilig und schwarz-weiß. Alles eben sehr provokativ, im Untergrund, in alten Treppenhäusern, in alten Fabriken, in alten Wohnungen, aber eben auch in Farbe, was im Osten allgemein recht selten war.

Jan

Was war deine prägendste Situation an der HGB?

Olaf Martens

Ich habe damals Helmut Newton, einer der größten Fotografen meiner Zeit, kennengelernt und mich um ihn gekümmert. Also mal vom Hotel abgeholt, mit ihm gequatscht und so was. Ja, und ich hatte ihn auch später öfters wieder getroffen. Er wollte mich sogar als seinen Laboranten.

Jan

Wow, wie kam es dazu?

Olaf Martens

Ich war zur Eröffnung einer großen Ausstellung von Helmut Newton in der Hamiltons Galerie, eine der besten Fotogalerien in London. Er hatte gestaunt über meine Farbfotos, denn diese Farben, die waren eben nicht ganz so bunt, die waren so gebrochen, so farbstichig. Das konnte man im Westen nicht machen.

Jan

Warum konnte man das nicht im Westen machen?

Olaf Martens

Weil ich noch das alte Ostpapier verwendet habe und einen ganz alten AGFA-Prozess, der sehr kompliziert und langwierig war.Die westlichen Materialien waren Plastikpapiere für die Maschine, damit es durchlaufen konnte. Der Prozess war 10 Minuten Entwicklung bis zum fertigen Bild. Meine Bilder hingegen waren echte Papierbilder, also Baryt. Das Papier kam aus tschechischer Produktion und die Chemikalien aus der DDR. Der Entwicklungsprozess war deutlich aufwendiger. Man hatte vier Bäder in völliger Dunkelheit. Es wurde entwickelt, dann gebleicht. Dann gab es das Fixier-Bad. Das alles im Dunkeln. Halbe Stunde lang. Bei einer Temperatur von 38 Grad unter dem Entwickler. Man hatte noch so Wärmeplatten drunter aus der Tierproduktion. Die waren eigentlich für die Schweinehaltung, wurden damals aber auch für die Dunkelkammer verwendet. Es war sehr kompliziert, ehe so ein Bild dann fertig war.

Ich habe heute noch einige meiner alten DDR Baryt-Bilder. Das sind Unikate. Man kann die nie wieder neu machen, weil es das Material nicht mehr gibt. Eigentlich ist es ein ganz großer Seltenheitswert, denn so etwas gibt es auf dem Kunstmarkt nicht. Und viele Sammler nehmen das tatsächlich gar nicht für voll, dass es Farb-Baryt gibt.

Jan

Wie ging es für dich nach deinem Studium weiter?

Olaf Martens

Ich bin damals nach Prag gegangen, gleich nach der Wende, auch mit Weggang aus meiner Agentur PUNCTUM hier in Leipzig. Dort habe ich viel gemacht. Unter anderem auch für die Frankfurter Allgemeine zum Thema Prag als Location. Da hat man damals italienische Mode fotografiert. Also mehr so die Prêt-á-Porter Geschichte. Und das haben wir dann eben fotografiert, im alten Grand-Hotel Europa, am Wenzelsplatz, in Metrostationen, in Kneipen. Ich habe auch Workshops mit Studenten gemacht. Damals wurde Prag als Modestadt zur Leipziger Modemesse präsentiert. Und die nächste große Geschichte war dann tschechische Mode in Prag für Spiegel Spezial, auch mit ganz neuen Gesichtern und ganz neuen Models. Einige von denen sind sogar kleine Stars geworden.

Jan

Was würdest du sagen, neben Prag, neben den Anfängen und ersten Auslandserfahrungen. Was waren deine bedeutendsten Meilensteine deiner bisherigen Karriere?

Olaf Martens

Das war eigentlich Russland. Ich habe noch lange in Prag gelebt und gewohnt und gewirkt, bin dann aber weiter nach Osteuropa.

Ich bin sozusagen über die Leipziger Messe nach Moskau gekommen. Slava Saizew wurde damals 1994, in Leipzig präsentiert und dann hab ich zur LVZ gesagt, das wäre toll nach Russland zu fahren und mit seiner Mode zu arbeiten. Er war damals der Stern des Ostens, sehr im Sowjetsystem privilegiert. Und glaube ich, der einzige Designer, der auch in Paris seine Shows hatte. Ja, und so kam es dazu, dass ich dort in Moskau fotografiert habe. Gleich am belarussischen Bahnhof, zwischen den ganzen Leuten, als die alle ankamen. So mitten im Pulk hat man dann Fashion Fotografie gemacht. Nach Moskau kam dann später Sankt Petersburg.

Jan

Wann ging es nach Sankt Petersburg?

Olaf Martens

Das war 1995. Vorher war ich allerdings noch in London und habe mich dort präsentiert, bei verschiedenen Zeitschriften, zum Beispiel auch beim Face Magazine. Der damalige Art Director meinte zu mir „okay, Olaf, great stuff you can work for us, but you must stay in London.“ Und da habe ich mir gesagt, nein, jeder geht nach London. Jetzt gehe ich nach Russland, das macht keiner für Mode. Und in Russland hatte man ganz andere Möglichkeiten, als in diesem engen London, wo jeder rumknipst und jeder jede Location kennt. Dann bin ich nach Russland. Und dann war das die erste Geschichte für den Stern, wo wir Mode von russischen Designern in Sankt Petersburg fotografiert haben. Wir haben nachts fotografiert, vor hochgeklappten Brücken, sogar in diversen Palästen, ganz opulent fotografiert. Einmal sind wir sogar in den Jussupow Palast reingekommen, in dem Rasputin ermordet worden ist.

Jan

Wie lange warst du in Sankt Petersburg?

Olaf Martens

Das waren fast 15 Jahre mit Unterbrechungen zum Schluss. Die letzte Ausstellung, die ich hatte, war dann später, 2018. Dazwischen war ich lange nicht gewesen, weil auch die Situation sich verändert hatte, politisch aber auch Desinteresse vonseiten des Westens. Damals hatte man dann alles schon rauf und runter fotografiert und da war das nicht mehr so interessant.

Celina

Du hattest bereits erwähnt, du bist von der Architektur und Bauzeichnung zur Fotografie gekommen. Du hast, glaube ich, auch Architekturfotografie gemacht?

Olaf Martens

Ja, ganz viel. Klar.

Celina

Wie kam es dann zu diesem Markenzeichen, dass man ja in jedem deiner Bilder wiederfindet? Also Frauen, Nacktheit, Strumpf und viele Beine etc.. Wie hat sich das entwickelt?

Olaf Martens

Das war eigentlich ungewollt, muss man mal so sagen. Ich hatte zwar diese Aktfotos am Anfang gemacht in der DDR, aber die sollten eigentlich gar keine Aktfotos sein, sondern mehr kritisch oder auch politisch, indem man einen Körper entblößte und den mit dem System konfrontierte. Und ich bin dann mehr oder weniger in eine Schublade gerutscht durch die großen Artikel des Sterns. Auf einmal dachten alle, na ja, das ist ja dann der Erotikfotograf... Ist er aber gar nicht gewesen. Ich habe ganz viel Streetfotografie gemacht, Architektur, Landschaften. Mit der Frankfurter Allgemeine habe ich dann ganz viele Porträt Geschichten gemacht. Ich hatte Sven Väth, Markus Wolf, Franka Potente und viele andere Schauspieler porträtiert. Ich habe Regisseure wie Roland Emmerich abgelichtet und unter anderem auch ein Revueballett. Aber dann gab es das zweite Klischee. Damals kamen Wolford, eine ganz tolle Strumpfhosenmarke auf mich zu. Für die habe ich eine Kampagne auf Lanzarote fotografiert. Na gut, da waren eben die Beine, die Strümpfe, Strumpfhosen und so habe ich dann angefangen in dem Metier. Dann kamen weitere Kunden aus der Branche. Es ging viel um Strumpfhosen und Bodywear. Damals sagte ein PR-Manager zu mir „Herr Martens, Sie können machen was Sie wollen, mich interessiert das nicht. Ich brauche nur gute PR-Bilder, die gut laufen.“ Und dann habe ich das Budget für diesen Auftrag erhalten, bin nach Russland gefahren und habe ein ganzes Revueballett in Strumpfhosen fotografiert. Das hat sich dann so verselbstständigt mit dieser Geschichte, die eigentlich nur rein ökonomisch entstanden war, weil man dachte, die Schublade funktioniert.

Jan

Hast du eine Lieblingslocation in deiner Heimat?

Olaf Martens

Eine schöne Location war damals die große Energiefabrik in der Lausitz. Das ist eine ganz große ehemalige Brikett-Fabrik mit riesigen Maschinen. Sieht ein bisschen aus wie bei Fritz Lang Metropolis. Da hatten wir ein großes Mode-Shooting gemacht. Location in Leipzig war damals das unrestaurierte Hotel Pologne in der Hainstraße, ganz toll, ganz alt. Die Pittlerwerke sind auch eine schöne Location, nur da muss der Strom funktionieren (lachen).

Jan

Nach all den Stationen bist du Leipzig treu geblieben. Was macht diese Stadt für dich aus?

Olaf Martens

Na ja, es ist schon eine sehr grüne Stadt. Man hat große Wohnungen, großen Wohnraum, der immer noch nicht so teuer ist. Bis jetzt war Leipzig eine Stadt, wo man doch eine tolle Lebensqualität hatte. Natürlich hat die Stadt die richtige Größe, nicht ganz so groß, sodass alles noch überschaubar ist. Karl Lagerfeld hat mal zu Hamburg gesagt „Ja, Hamburg ist okay, aber ich musste nach Paris gehen. Na gut, aber Hamburg ist wenigstens das Tor zur Welt.“ Und Leipzig, ja gut, man kann sagen, es ist die Luke oder das Türchen zur Welt.

Jan

Hast du ein Lieblingscafé?

Olaf Martens

Ja, ich gehe immer gern in die Barcelona.

Jan

Danke für deine Zeit.

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